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Georg Wurth bei der Anhörung: “Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs”

Am 25.01.2012 fand im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus die 62. Sitzung des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages statt. Auf der Tagesordnug stand die Öffentliche Anhörung zum Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. “Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs”, BT-Drucksache 17/7196. Hier die Fragen an und die Antworten von Georg Wurth, der als Sachverständiger geladen war. Das gesamte Protokoll der Anhörung gibt es hier (PDF).

Abg. Frank Tempel (DIE LINKE.): [..] An Herrn Wurth richte ich meine zweite Frage. Vielfach wird der Eindruck erweckt, auch auf Grund der Regelung hinsichtlich der geringen Menge in den Länderverordnungen, dass eine Regelung im Betäubungsmittelgesetz in Bezug auf die Kriminalisierung der Konsumenten ausreichend ist. Können Sie dazu Ausführungen machen?

[…]

SV Georg Wurth: Der Aussage, dass Cannabiskonsumenten entkriminalisiert seien, wie es immer wieder von Politikern behauptet wird, und dass man aufgrund der Mengenregelung keine dramatischen Konsequenzen zu erwarten habe, muss ich deutlich widersprechen. Bei mir melden sich nahezu täglich angeblich entkriminalisierte Konsumenten und erzählen mir ihre Geschichte. Ich beginne bei der geringen Menge, die in den meisten Bundesländern bei sechs Gramm liegt. Sehr viele Konsumenten besitzen mehr als sechs Gramm. Gerade wegen der bereits angemerkten schlechten Stoffqualität hat der Konsument gerne einen Vorrat. Es gibt viele Konsumenten, die zwischen sechs und 30 Gramm zu Hause haben, aber niemals in irgendwelchen Handel verstrickt gewesen sind. Dieser Besitz führt aber dazu, dass viele Konsumenten doch eine Strafe erhalten, obwohl sie nur Konsumenten und keine Händler sind.

Auch wenn man davon ausgeht, dass viele Verfahren auf Grund einer geringen Menge eingestellt werden, bleiben diese doch nicht ohne Folgen. Denn was passiert bis zur Einstellung des Verfahrens? Zunächst erhält man ab dem ersten Gramm Cannabisbesitz eine Strafanzeige und ist damit in ein Strafverfahren verwickelt. Sehr viele der Betroffenen waren dies bis dato noch nie. Zumeist sind es ganz normale Menschen, die bisher noch keine Probleme mit dem Gesetz hatten. Jetzt erhalten diese plötzlich eine Strafanzeige, weil sie lieber Hanf rauchen als Alkohol trinken.

Häufig findet auch bei geringen Mengen eine Hausdurchsuchung statt. Wer beispielsweise in Bayern mit fünf oder auch nur mit zwei Gramm auf der Straße erwischt wird, muss damit rechnen, dass Polizisten das Haus durchsuchen und es entsprechend hinterlassen. Das bekommen natürlich die Nachbarn mit. Häufig werden die Betroffenen auch erkennungsdienstlich behandelt – es werden Fotos gemacht, Fingerabdrücke genommen und teilweise DNA-Analysen durchgeführt. An dieser Stelle müssen Sie mir erklären, wer, selbst wenn das Verfahren später eingestellt wird, sich danach entkriminalisiert vorkommt. Häufig müssen sich die Leute sogar ausziehen.

Wenn Polizisten jemanden verdächtig finden, zum Beispiel einen jungen Menschen in der Bahn, weil dieser die falsche Frisur hat, kommt es oft genug vor, dass er zur Polizei gebracht wird und sich komplett ausziehen muss. In diesem Zusammenhang würde ich gerne den Abgeordneten die Frage mit auf den Weg geben, ob sie es wirklich verantworten wollen und ob sie es gut finden, dass junge Leute sich vor Polizisten ausziehen und die Pobacken auseinanderziehen müssen, damit nachgeschaut werden kann, ob dort vielleicht ein halbes Gramm Hasch versteckt ist. Das passiert tatsächlich.

Sie sind dafür verantwortlich. Sagen Sie in die Kamera, ob Sie dieses Vorgehen gut finden oder nicht. Es kommt hinzu, dass die Verfahren häufig nicht eingestellt werden, sondern dass es auch bei geringen Mengen zu teilweise herben Strafen kommt – insbesondere bei sogenannten Wiederholungstätern. Entweder will ich Konsumenten entkriminalisieren oder nicht. Will man sie entkriminalisieren, dann sind sie aber auch nicht kriminell, wenn sie ein zweites Mal mit zwei Gramm erwischt werden. Dies führt aber häufig schon zu einigen hundert Euro Strafe.

Wenn jemand selbst anbaut, steigt die Strafe noch einmal dramatisch, weil natürlich selbst bei nur einer Pflanze die Ernte deutlich höher ist als die geringe Menge. Ich nenne zwei Beispiele. Ein junger Mann hat sieben Pflanzen zu Hause angebaut und hat ein Pfadfindermesser in seinem Zimmer liegen, wie wahrscheinlich die meisten Leute. Dieser junge Mann hat nachweislich noch nie etwas mit Drogenhandel zu tun gehabt. Aber er wurde wegen der Menge von sieben Pflanzen plus Messer wegen Drogenhandels mit Waffe zu fünf Jahren Knast verurteilt.

Der zweite Fall: Bei einer Hausdurchsuchung wurden vier Gramm Marihuana sowie ein mehrere Jahre altes Foto von zwei vergilbten Hanfpflanzen, die vor Jahren angebaut wurden, gefunden. Der Besitzer wurde dafür zu 45 Tagessätzen verurteilt. In Deutschland gibt es jedes Jahr 100.000 Strafverfahren nur auf Grund konsumbezogener Delikte ohne Handel. Diese Strafverfahren führen zu vielen Urteilen. Das muss aufhören. Es ist ein wahnsinniger Aufwand, der ständig betrieben wird. Ich möchte nachdrücklich betonen, dass die 30 Gramm-Regelung sinnvoll ist. Sie sollte nicht nur auf Basis der geltenden Rechtslage eingeführt werden, sondern sie sollte so ausgestaltet werden, dass der Besitz von 30 Gramm keine Straftat mehr ist, wenn kein Handel nachgewiesen wird, so dass keine Konfiszierung erfolgt. Dies entlastet die Polizei und ist sinnvoll für die Konsumenten.

[…]

Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Ich möchte eine kurze Vorbemerkung machen. Natürlich wollen wir die Gesetze so ändern, dass die in unserem Antrag vorgeschlagenen Regelungen gesetzeskonform sind. Wer, wenn nicht der Bundesgesetzgeber, sollte dies anschieben? Wir wollen keine gesetzeswidrigen Regelungen einführen. Ich möchte zunächst Dr. Gaßmann die Möglichkeit geben, seine Sicht auf die Ausführungen von Prof. Thomasius darzustellen. Ich habe gesehen, dass er heftig den Kopf schüttelte. Auf unseren Antrag bezogen würde mich die Ausgestaltung der Prävention in Deutschland sowie der Jugendschutz interessieren.

Meine zweite Frage richte ich an Herrn Wurth. Wir haben in unserem Antrag Cannabis-Clubs vorgeschlagen. Dies aber dezidiert als Möglichkeit, den Eigenanbau auf die Clubs zu delegieren. Anders als bei anderen Forderungen, die sehr knapp formuliert sind, haben wir diese Forderung konkretisiert. Mich würde Ihr Kenntnisstand bezüglich der Cannabis-Clubs interessieren. In welchen Ländern gibt es diese Clubs, wie sind sie ausgestaltet und welche Erfahrungen gab es damit?

[…]

SV Georg Wurth: Es wurde die Frage gestellt, wo es Cannabis Social Clubs gibt und welche Auswirkungen diese haben. Die Cannabis Social Clubs sind sehr eng an den legalen Einkauf von Hanfsamen und den legalen Eigenanbau durch Privatleute gebunden. In den meisten europäischen Staaten ist der Handel mit entsprechenden Hanfsamen erlaubt. In Deutschland sind die Hanfsamen erst sei 1998 verboten – das ist nicht unbedingt Gott gegeben, sondern ein eher deutscher Weg, vor allem, wenn er so konsequent durchgesetzt wird wie hier. Der Anbau ist im europäischen Raum in Spanien, Belgien, Niederlande und Tschechien legal oder zumindest geduldet. In Tschechien wurde er zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft. Gestern habe ich erfahren, dass Slowenien ebenfalls das Strafmaß verändern will. Für die Cannabispatienten in den USA ist dies ebenfalls ein großes Thema.

Es gibt in Belgien einen Cannabis Club in der Form, wie es der Antrag fordert. Der belgische Club hat etwa 150 Mitglieder und arbeitet mittlerweile recht unproblematisch – der letzte Prozess fand 2010 statt. Seit dieser Zeit operieren die Clubs in Zusammenarbeit mit den Behörden an acht bekannten Standorten, wo jeder Konsument seine Cannabispflanze erhält. Das ist inzwischen kein Problem mehr.

In Spanien ist die Anzahl der Clubs unbekannt, da es weder eine Statistik noch ein Kataster gibt, in dem sie registriert werden. Man schätzt aber, dass die Zahl der Clubs bei rund 200, vielleicht sogar bei 300 liegt. Es ist richtig, dass die meisten Cannabis Social Clubs, aber nicht alle, im Baskenland zu finden sind. Allerdings gibt es in ganz Spanien Clubs, von denen viele offiziell und offen arbeiten und von den Behörden nicht behelligt werden. Zwar wird behauptet, dass die Clubs im Graubereich, also halblegal arbeiten würden, das sehe ich aber nicht so. Es gibt zwar kein Cannabis Social Club-Gesetz, das genau regelt, wie die Clubs zu funktionieren haben, allerdings plant man im Baskenland eine entsprechende Regelung. Da die Clubs ihre Gerichtsprozesse gewonnen haben, ist die Angelegenheit im Prinzip juristisch entschieden. Insofern kann man bei 200 Clubs mit tauschenden Mitgliedern, die legal Cannabis anbauen, kaum noch von einem Graubereich sprechen. Hinsichtlich der Konsequenzen muss ich sagen, dass es keine wissenschaftliche Auswertung gibt.

Das könnte man aber in Deutschland machen. Wir sind immer sehr gründlich – versuchen wir es einfach und untersuchen die Sache. Die Vorteile der Clubs sind, dass die Konsumenten saubere Ware erhalten und entkriminalisiert werden. Sie werden von Polizei und Justiz nicht verfolgt und umgekehrt spart sich die Polizei eine Menge Aufwand, wenn sie die Leute unbehelligt lässt. Von Nachteilen oder negativen Auswirkungen, dass zum Beispiel ein kriminelles Umfeld entsteht, habe ich noch nichts gehört.

Es wurde berichtet, dass vor einiger Zeit in Bilbao zwei Cannabis Social Clubs geschlossen worden seien. Dabei handelt es aber um zwei von ungefähr 60. Das heißt, die anderen sind weiterhin geöffnet. Ich denke, wenn tatsächlich einmal ein Club geschlossen wird, ist dies vielmehr ein Zeichen dafür, dass das Ganze funktioniert. Die Clubs werden überwacht und wenn Unregelmäßigkeiten geschehen, werden sie geschlossen. Dies bringt mehr und nicht weniger Kontrolle. Durch die Clubs verliert man nicht die Kontrolle, wie gerade behauptet wurde, sondern es wird, dadurch, dass man Regelungen einführt, die Kontrolle übernommen. Notwendig wäre allerdings eine Diebstahlsicherung für die angebauten Pflanzen, damit Kriminelle sie nicht stehlen können. Dies ist im Prinzip auch schon das größte Problem. Ein anderes Problem stellen die Clubs natürlich für die illegalen Händler dar, die Cannabis verkaufen. Ihnen entgeht nun der Umsatz. Aber ich habe noch von keinem Fall gehört, dass sich ein illegaler Händler offiziell beschwert hätte. Insofern ist die ganze Sache in Spanien recht unproblematisch. Die Clubs haben nur Vorteile gebracht, von Nachteilen hört man nicht viel.

[…]

Abg. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe eine Frage an Herrn Wurth. Es wurde bereits deutlich darauf hingewiesen, dass die Kriminalisierung auch soziale Folgen, wie beispielsweise eine Stigmatisierung, für den weiteren Lebensweg hat. Es wurde auch auf die Führerscheinproblematik eingegangen. Können Sie nähere Ausführungen dazu machen, inwieweit die geltende Führerscheinverordnung dazu genutzt wird, Cannabiskonsumenten, völlig unabhängig davon, ob sie unter Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug geführt haben, zu kriminalisieren?

SV Georg Wurth: Nach meiner Ansicht erfolgt die Diskriminierung nüchterner Cannabiskonsumenten im Straßenverkehr massenhaft und systematisch. Es sind jedes Jahr Tausende, die von Bußgeldern, MPUs und Führerscheinentzug betroffen sind, obwohl sie nicht berauscht gefahren sind. Die Diskriminierung geschieht auf zwei Ebenen: Zunächst auf der strafrechtlichen Ebene bei einer direkten Drogenfahrt, wobei es um dieses eine Nanogramm geht. Ich bin der Meinung, dass ein Nanogramm ein viel zu niedriger Ansatz ist. Wir sollten vielleicht unsere Quellen noch einmal vergleichen. Sie hatten gesagt, die Ein-Nanogramm-Regelung sei als Einigung zustande gekommen und ein Nanogramm sei mit 0,5 Promille Alkohol vergleichbar. Dies widerspricht völlig meinen Informationen. Im Gutachten von Daldrup und Berghaus wird die Vergleichbarkeit bei fünf bis acht Nanogramm angesetzt. Nach meinen Informationen dürfen in der Schweiz sogar Straßenbahnfahrer noch mit zwei Nanogramm fahren. Die Ein-Nanogramm-Regelung rührt meines Wissens daher, dass die Nachweismethoden immer feiner wurden und immer noch kleinere Restmengen nachgewiesen werden können. Daraufhin hat man bei einem Nanogramm einen Cut gemacht, da es irgendwann albern wird, wenn man versucht, in den Spuren noch etwas zu lesen.

Es gibt viele Leute, die völlig nüchtern fahren. Konsumenten haben oft noch nach vielen Stunden, am nächsten Tag, teilweise sogar noch nach etwa zwei bis drei Tagen ein Nanogramm im Blut. Es hängt vom persönlichem Stoffwechsel ab, wie schnell der Abbau erfolgt. Diese Leute sind aber definitiv vollkommen nüchtern, wenn sie mit 1,5 Nanogramm, zwei oder drei Nanogramm Auto fahren. Wird ein entsprechender Wert festgestellt, werden die Menschen aber entsprechend bestraft. Über weitere Folgen, die über den strafrechtlichen Aspekt der Drogenfahrt hinausgehen, wird oft gar nicht informiert.

Ich habe gerade eine Antwort der Drogenbeauftragten auf abgeordnetenwatch.de gelesen. Sie sagte, dass die Leute zunächst ihren Führerschein behalten dürften. Das stimmt zwar, aber es geht weiter. Es erfolgt eine Meldung an die Führerscheinstelle und es beginnt der verwaltungsrechtliche Weg, auf dem geprüft wird, ob der Betreffende aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur überhaupt verantwortungsbewusst ein Fahrzeug fahren kann. Hier spielen Drogenfahrten eine Rolle, die meiner Meinung nach zum Teil gar keine Drogenfahrten sind. Es gibt aber auch eine Menge Verfahren, bei denen es überhaupt nicht um Verkehrsteilnahme, sondern um die Persönlichkeitsfrage geht.

Ein Aspekt ist der regelmäßige Cannabiskonsum. Wer also bei einer Verkehrskontrolle von einem Polizisten danach befragt wird und antwortet, dass er immer nur am Wochenende konsumiere und Auto nur während der Woche fahre, hat einen regelmäßigen Konsum zugegeben. Als Konsequenz ist der Führerschein weg. Dies würde jemandem, der regelmäßig am Wochenende ein Bier trinkt, nie passieren. Wenn Sie mit der Straßenbahn zu einem Festival fahren, dort mit einem Joint und einem Bier erwischt werden, wird dies als Mischkonsum eingestuft und der Führerschein eingezogen, auch wenn Sie weder ein halbes Jahr vorher noch nachher Auto gefahren sind.

Wenn Sie bei einer MPU selbstbewusst zu Ihrem gelegentlichen Cannabiskonsum stehen, verlieren Sie Ihren Führerschein wegen eines fehlenden Problembewusstseins. Sie müssen vielmehr sagen: „Ja ich habe konsumiert, aber ich arbeite daran, das war eine schlimme Zeit, jetzt geht es mir aber besser.“ Dann können Sie den Führerschein vielleicht behalten. Sagen Sie, dass sie ab und an Cannabis konsumieren, aber die Abstände einhalten, dann sind Sie Ihren Führerschein los. Dies alles hat nichts mit Verkehrssicherheit zu tun. Wir sind uns alle einig, die Leute sollen nicht berauscht fahren. Das sehe ich genauso und hier sind wir beisammen. Aber Führerscheinentzug ohne Drogenfahrt kann unnötig Biografien zerstören, deshalb sollten wir das abschaffen. Wir sollten sehen, dass wir wirklich wissenschaftlich nachvollziehbare Grenzwerte finden.


Kommentare

2 Antworten zu „Georg Wurth bei der Anhörung: “Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs”“

  1. Anonymous

    RE: Georg Wurth bei der Anhörung: “Legalisierung von Cannabis du
    Als Betroffener kann ich dem voll und ganz
    zustimmen, was Georg Wurth sagt.

    Genau so habe ich das auch kennengelernt!

  2. Anonymous

    RE: Georg Wurth bei der Anhörung: “Legalisierung von Cannabis du
    Als Betroffener kann ich dem voll und ganz
    zustimmen, was Georg Wurth sagt.

    Genau so habe ich das auch kennengelernt!