Interview: Seit fast 20 Jahren kämpft Georg Wurth für die Legalisierung von Cannabis: So stellt er sich das Geschäft vor

Im Rahmen der Debatte um eine Cannabislegalisierung führte STERN PLUS ein umfangreiches Interview mit dem Cannabisexperten und DHV-Chef Georg Wurth:

Die Debatte um die Legalisierung von Cannabis ist in Deutschland ein Dauerbrenner. Ein erklärter Befürworter der Freigabe ist Georg Wurth vom “Deutschen Hanfverband” in Berlin. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie eine Legalisierung in Deutschland überhaupt aussehen könnte.

Herr Wurth, viele Länder haben Marihuana bereits legalisiert und sind dabei recht unterschiedliche Wege gegangen. Welcher wäre Ihrer Meinung nach für Deutschland geeignet?

Keines der existierenden Modelle ist perfekt, man müsste idealerweise verschiedene Bestandteile übernehmen. Von Uruguay beispielsweise die Möglichkeit des legalen Eigenanbaus und die Cannabis-Clubs, in denen sich Produzenten zusammenschließen. Aus Colorado und anderen US-Bundesstaaten die Struktur der Fachgeschäfte mit lizensierten Läden für den Verkauf.

Warum nicht ein Verkauf über Apotheken – oder schlicht am Kiosk an der Ecke?

Apotheken sind ungeeignet, weil es ja keine Medizin ist, die verkauft werden soll, sondern ein Genussmittel. Auf der anderen Seite sollte man das Produkt auch nicht ständig überall angeboten bekommen. Kommerzielle Werbung für Cannabis, wie es sie in bestimmten US-Bundesstaaten gibt, sollte man daher unterbinden. Wir plädieren für eine überschaubare Zahl an Fachgeschäften, auch, um den Jugendschutz gewährleisten zu können.

Welches Alter schlagen Sie für den legalen Konsum vor?

In Deutschland ist man ab 18 Jahren volljährig, daher sollte das die Altersfreigabe sein. Wenn der Verkauf über Fachgeschäfte läuft, funktioniert die Alterskontrolle über Ausweise gut. Auch dazu gibt es aus Colorado Studien. Dort wurden versuchsweise jugendliche Testkäufer losgeschickt – und die sind alle an der Ausweiskontrolle gescheitert.

Hat Deutschland überhaupt genug Gras für die Legalisierung?

Bisher kann selbst die Nachfrage an medizinischem Cannabis kaum gedeckt werden. Zunächst mal: Der Markt wird ja nicht durch die Legalisierung erschaffen, es gibt ihn schon. Für den medizinischen Anbau wurden jedoch so geringe Mengen zugelassen, dass von vornherein klar war, dass es nicht reichen wird.

Aber es wäre mehr Anbau möglich?

Ja, sicher. Auch jetzt schon, denn sogar die drei Standorte, an denen bisher medizinisches Marihuana angepflanzt wird, hätten noch Kapazitäten. Für die Herstellung als Genussmittel müsste man weniger Regularien einhalten, das erleichtert die Produktion.

Und die Qualität wäre gut?

Mit Gewächshäusern kann man auch hierzulande gute Ergebnisse erzielen – und es wird sicher auch Liebhaber für den Anbau auf freiem Feld geben. Trotzdem sollten wir den Import nicht aus den Augen verlieren. Länder wie Marokko haben eine lange Kultur des Anbaus und dementsprechend viel Erfahrung. Gras ist ja nicht gleich Gras. Die Produkte riechen und schmecken anders, Methoden und Standorte wirken sich unterschiedlich aus, ähnlich wie beim Wein. Schon jetzt leben in Marokko Tausende Bauern davon – wenn der Staat das Produkt legal nach Europa exportieren könnte, wäre das auch ein Beitrag zur  wirtschaftlichen Stabilisierung.

Wie stark sollte der Stoff sein dürfen? Braucht man eine THC-Obergrenze?

Eine Obergrenze für THC wäre wenig sinnvoll. Am wichtigsten ist, dass die Leute überhaupt wissen, was sie konsumieren. Die Werte für THC und CBD sollten daher angegeben werden. Bisher bekommt man von irgendeinem Händler irgendein Grünzeug, das jedes Mal anders ist. Eine Produktdeklaration und eine stabile Verfügbarbarkeit verhindert also, dass Menschen Sachen rauchen, die sie überhaupt nicht vertragen. Wir wissen, dass die meisten Leute gar keine harten Sorten wollen, die sie aufs Sofa nageln, sondern lieber etwas Entspanntes.

Wie stark ist was Entspanntes?

Es geht, grob gesagt, weniger um “Stärke” als um den CBD-Gehalt. CBD wirkt sich dämpfend auf die psychotische Wirkung aus. Wenn Leute nach einem Joint schlimme Sachen erleben, Stimmen hören oder sich verfolgt fühlen, dann liegt das meist an Sorten, die sehr THC-haltig sind, aber wenig CBD haben. Vernünftig ausgewogene Sorten sind sicherlich besser. Man hört immer wieder, dass das Gras, das auf der Straße im Umlauf ist, härter und giftiger wird. Wir warnen in der Tat schon seit Langem vor Chemie-Gras, das zunehmend auf dem normalen Schwarzmarkt erhältlich ist. Händler bekommen günstig CBD-Gras und sprühen dort Chemikalien drauf, also Labor-Cannabinoide, und das ist wirklich lebensgefährlich. Außerdem macht es unter Umständen stark abhängig und kirre.

Also braucht man eine Art Reinheitsgebot?

Die Verbesserung würde sich dadurch einstellen, dass eine Legalisierung unweigerlich auch Qualitätskontrollen nach sich zöge, sowie Standards, die eingehalten werden müssten. Und was würde der Spaß dann kosten? Colorado ist vor rund zehn Jahren mit einem Preis von 70 US-Dollar für 3,5 Gramm an den Start gegangen. Das hängt natürlich von der Zielsetzung ab. In Uruguay sind die Preise beispielweise von Beginn an extrem niedrig gewesen, weil es hauptsächlich darum geht, die organisierten Banden aus dem Land zu drängen und denen das Geschäft wegzunehmen. Dadurch wurde der Schwarzmarkt viel schneller verdrängt als beispielsweise in Kalifornien oder Kanada.

Dass wir in Deutschland jetzt wieder über Legalisierung reden, hat aber doch vor allem mit wirtschaftlichen Interessen zu tun.

Natürlich, daraus braucht man auch keinen Hehl zu machen. Eine Studie, die wir 2018 in Auftrag gegeben haben, kam zu dem Ergebnis, dass etwa 20.000 Arbeitsplätze entstehen würden. Hinzu kämen außerdem etwa 650 Millionen Euro Einnahmen durch eine Cannabis-Steuer.

Heißt also: Kiffen ist gut für Deutschland?

Wie gesagt – konsumiert wird sowieso, der Markt wird nicht neu erschaffen, bloß weil man es legalisiert. Bisher gibt es jedoch auch kriminelle Netzwerke, die daran verdienen. Wenn dank einer Regularisierung die Einnahmen dem Staat und damit der Gesellschaft zugutekommen, ist das aus unserer Sicht nichts Schlechtes. “


Kommentare

Eine Antwort zu „Interview: Seit fast 20 Jahren kämpft Georg Wurth für die Legalisierung von Cannabis: So stellt er sich das Geschäft vor“

  1. An Georg Wurth / neue Anbauwege / Info an Dr. Schinnenburg
    Lieber Georg, herzliche Grüße von “MeCaDt” und danke, dass Sie sich so einsetzen ! Es wäre ein Unding, wenn Cannabis nach einer hiesigen Legalisierung/Entkriminalisierung oder für Modellprojekte importiert werden müsste. Wenn es jedoch nicht optimal läuft, und deutsche Landwirte wieder ausgeschlossen würden, bliebe noch, Cannabis in den Biologie-Fakultäten deutscher Universitäten zu züchten, – zumindest für Modellprojekte. Dann würde die Produktion wenigstens im Lande verbleiben und mit den Gewinnen könnten die Unis Anlagen anlegen und Forschungen finanzieren. Zur kommenden Cannabismesse in Berlin kann ich nicht selbst kommen,
    aber Sie könnten Dr. Schinnenburg diesen Ansatz von mir ausrichten
    und noch liebe Grüße bestellen. Diesbezüglich hat es zwischen der Verwaltung meiner Heimatstadt und der ansässigen Universität bereits Gespräche gegeben. Ihr Dr. Voss